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Leuchttürme der Energiewende: Die Weinviertelleitung

Um die Netzversorgung auch bei stärkerem Ausbau der Windkraft fit zu machen, wird im Sommer 2022 die Weinviertelleitung in Betrieb genommen.

Im Sommer 2022 wird der Übertragungsnetzbetreiber Austrian Power Grid (APG) die neue Weinviertelleitung in Betrieb nehmen. Sie ersetzt in Österreich die bestehende 220-kV-Leitung, die seit 1958 in Betrieb ist und vom Netzknoten Bisamberg nördlich von Wien nach Sokolnice etwa zwölf Kilometer südöstlich von Brünn in der Tschechischen Republik führt. Vom Schaltwerk Seyring im Norden Wiens bis zum neuen Umspannwerk Zaya in Neusiedl an der Zaya, etwa 40 Kilometer nordöstlich von Wien, wird die neue Leitung als zweisystemige 380-kV-Leitung verlaufen, von dort aus in Richtung Staatsgrenze als 220-kV-Leitung.

© APG/Niklas Stadler

In Zaya erfolgt die Verbindung mit dem 110-kV-Netz der Netz Niederösterreich. Denn im östlichen Weinviertel werden derzeit Sonnen- und Windkraftwerke mit einer Leistung von rund 2700 Megawatt installiert, weshalb die Netz NÖ derzeit wichtige „Zubringerstraßen“ zur „Stromautobahn“ errichtet. „Über das ‚Erneuerbaren Netz Weinviertel‘ wird diese wertvolle Energie gesammelt und über das überregionale Netz zu unseren Kundinnen und Kunden gebracht“, sagt EVN-Sprecher Stefan Zach.

Notwendig wurde die neue Weinviertelleitung aus folgenden Gründen: Die bestehende Leitung ist am Ende ihrer Lebensdauer. Sie einer Generalsanierung zu unterziehen, wäre weder technisch zielführend noch wirtschaftlich rentabel gewesen. Überdies verläuft sie im Unterschied zur neuen Leitung durch ein NATURA 2000-Gebiet sowie in der Nähe von Siedlungsgebieten. Die neue Leitung ist mit etwa 62 Kilometern Gesamtlänge um rund 15 Kilometer kürzer als die alte und kommt mit 53 Masten weniger aus. Nach ihrer Inbetriebnahme wird die alte Leitung abgebaut.
 

Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz

Der wichtigste Grund für den Neubau aber ist: Die bestehende Leitung ist den kommenden Anforderungen der Energiewende nicht mehr gewachsen. Bekanntlich plant Österreich, seinen Strombedarf ab 2030 zu 100 Prozent mithilfe erneuerbarer Energien zu decken. Verbindlich festgeschrieben wurde dieses Ziel im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG), das das Parlament im Sommer beschloss und dessen Genehmigung durch die EU-Kommission zurzeit läuft. Um das Ziel zu erreichen, ist es notwendig, die Ökostromproduktion um rund 50 Prozent oder jährlich 27 Terawattstunden (TWh) zu erhöhen, von denen allein zehn TWh auf Windkraft entfallen. Insgesamt muss sich die Leistung der österreichischen Ökostromanlagen um etwa 17.000 Megawatt (MW) nahezu verdoppeln.

Und gerade das Weinviertel ist von dieser Entwicklung besonders stark betroffen. „Das dortige Windkraftpotenzial gilt als enorm. Folglich wird auch der Ausbau der Windparks nicht zuletzt hier stattfinden“, erläutert APG-Pressesprecher Stefan Walehrach. Im Jahr 2022 ist hier mit einer Gesamtleistung von rund 1.200 MW an Windkraft zu rechnen. Bis 2030 könnten es inklusive der Modernisierung und des Ausbaus bestehender Anlagen bis zu rund 1.700 MW werden. Das entspricht in etwa einem Zehntel des gesamten vorgesehenen Ökostromausbaus. Die damit erzeugten Strommengen aber werden im vergleichsweise dünn besiedelten und strukturschwachen Weinviertel nicht benötigt und müssen daher zu Verbrauchern in anderen Teilen Österreichs transportiert werden. Und genau das ist der Zweck der neuen Weinviertelleitung. Sie verfügt über ausreichende Kapazität, um den nach derzeitigem Stand geplanten Ausbau der Windkraft in der Region netztechnisch zu bewältigen und sorgt so für die sichere Stromversorgung in der Region und ganz Österreich.
 

Koordinierter Ausbau

Mit dem Bau der neuen Weinviertelleitung begann die APG Ende des zweiten Quartals 2019. Mittlerweile seien sämtliche 202 Masten mit bis zu 60 Metern Höhe errichtet, berichtet Walehrach. Rund drei Viertel der Leiterseile wurden eingezogen. Die verbleibenden Seile werden im kommenden Jahr gespannt. Auch der Bau des Umspannwerks Zaya selbst macht gute Fortschritte: Alle Gebäude, Fundamente und Kabelkanäle sind fertiggestellt. Zurzeit führt die APG die Hochspannungsprüfung der Schaltanlagen durch. Die drei Transformatoren wurden ebenfalls bereits geliefert und hochgerüstet, darunter im Sommer des heurigen Jahres ein 300 Tonnen schweres Gerät, das, der alten Tradition der „Trafotaufe“ folgend, den Namen „Carlo“ erhielt. „Sowohl bei der Leitung als auch beim Umspannwerk sind wir im Zeitplan“, erzählt Walehrach.

Insgesamt investiert die Übertragungsnetzgesellschaft in das Vorhaben rund 200 Millionen Euro. Mit etwa 132 Millionen Euro verbleibt der überwiegende Teil der Wertschöpfung in Österreich, etwa ein Viertel dieses Betrags entfällt auf Niederösterreich. Verbunden mit dem Projekt sind rund 2.100 Arbeitsplätze, davon 600 in Niederösterreich. Zum Vergleich: Bei der APG selbst stehen etwa 660 Personen in Lohn und Brot.

Die Netzoptimierung hat übrigens Vorrang vor dem Netzausbau. Zudem soll der Netzausbau im Einklang mit dem Ökostromausbau stehen. Notwendig für das Gelingen der Energiewende ist überdies die enge Zusammenarbeit zwischen der APG und den Verteilernetzbetreibern (distribution system operators, DSOs), im Falle der Weinviertelleitung also mit der Netz Niederösterreich. Walehrach zufolge koordinieren die APG und die DSOs ihre Konzepte und Planungen zum Netzausbau auf verschiedensten Ebenen: „Die vorausschauende Planung und das Ziel, die sichere Stromversorgung, die Energiewende und damit die Modernisierung der Energieversorgung von Wirtschaft, Industrie und Gesellschaft zu ermöglichen, treiben uns und die DSOs an.“ Bei der Weinviertelleitung zeigt sich das in besonderer Weise: Das zum Projekt gehörende Umspannwerk Zaya entsteht direkt neben dem dortigen Umspannwerk der Netz Niederösterreich.

Weinviertelleitung in Zahlen


Genehmigungsantrag: 2016
Genehmigung: 2018
Baubeginn: Ende zweites Quartal 2019
Inbetriebnahme: Sommer 2022
Trassenlänge: 62 Kilometer
Betriebsspannung: 380/220 Kilovolt (kV)
Investition: rund 200 Millionen Euro
Effekt: netzseitige Ermöglichung des Windkraftausbaus im Weinviertel sowie österreichweite Verteilung erneuerbarer Energie